Mittwoch, 10. Oktober 2012



30 Jahre Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek (Judaica)
in Konstanz

1982 – 2012: Bilanz, Dank und Chronik
Von Thomas Uhrmann



(Text aus dem Mitteilungsblatt des Oberrates der Israeliten Badens und seiner Gemeinden, 
Ausg. Nr. 43, September 2012
Hrsg./ Redaktion: Israelitische Religionsgemeinschaft Baden (IRG) K.d.ö.R., raumK Verlag, Karlsruhe, 2012)

Am 12. November 2012 kann die Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz auf stolze 30 Jahre ihres Bestehens zurückblicken. Sie ist in diesen drei Jahrzehnten zu einer nicht mehr wegzudenkenden kulturellen Institution in der Stadt am Bodensee geworden und hat als Vermittlerin jüdischer Kultur ebenso für Gemeindemitglieder als auch für die nichtjüdische Bevölkerung weit über Konstanz hinaus Bedeutung erlangt. Die Aufnahme in den Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB) im Jahr 2001 und die damit verbundene Internetpräsenz haben entschieden zu ihrem überregionalen Bekanntheitsgrad beigetragen. Das beweisen nicht nur Anfragen von weither nach seltenen Buchtiteln, die sich nur im Bestand dieser Bibliothek befinden, sondern auch vermehrt großzügige Schenkungen von Privatleuten aus der Stadt, aus der Region, aus der benachbarten Schweiz und sogar von der British Library in London. Darüber hinaus haben oftmals überregionale Zeitungen und Zeitschriften über die Aktivitäten der Bücherei berichtet, ebenso verschiedene Internetportale und die israelischen Nachrichtenwebseiten News1.

Als die Bibliothek nach der Aufnahme in den Verbund begonnen hatte, ihren Bestand im Online-Katalog des SWB zu katalogisieren und damit im Internet recherchierbar zu machen, wies dieser 2100 Titel unserer Bücherei nach, inzwischen sind es knapp 4300.

Dies alles wäre nicht möglich gewesen ohne die Initiative von Dr. Erich Bloch ז''ל, in Konstanz eine Judaica-Bibliothek zu gründen und sie mit ersten Büchern auszustatten, nicht ohne die unermüdliche Aufbauarbeit und langjährige fachkundige Betreuung der Bücherei durch Else Levi-Mühsam ז''ל, nicht ohne die Familie Nissenbaum, die über all die Jahre bis heute die Räume zur Verfügung stellte und stellt, und nicht ohne Spenden von oft ganz besonderen und seltenen Büchern zahlreicher Gönner. Nicht zuletzt auch nicht ohne das Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg (BSZ), dessen Direktion und Mitarbeiter uns seit elfeinhalb Jahren bestens unterstützen. All diesen Förderern der Bibliothek gilt unser großer Dank!

Eine öffentliche Judaica-Bibliothek in einer relativ kleinen Universitätsstadt, die von einer jüdischen Gemeinde getragen wird, ist eine Besonderheit. Für mich war und ist die Ehre, dass mir 1995 die ehrenamtliche Betreuung der Bibliothek anvertraut wurde, Verpflichtung. Eine Verpflichtung und Freude, in dieser kulturellen Einrichtung einer jüdischen Gemeinde in Baden und interessierten Lesern dienen zu dürfen.

Folgen Sie mir jetzt anhand der wichtigsten Daten und Ereignisse durch drei Jahrzehnte Bibliotheksgeschichte in der Konstanzer Sigismundstraße:
15. Aw 5742 (4. August 1982): Gründung und Aufbau der Judaica-Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz (IKG) durch den Historiker und Schriftsteller Dr. Erich Bloch ז''ל mit finanzieller  Unterstützung durch Alfred Lebenheim ז''ל, einem Mitglied der Gemeinde.

26. Cheschwan 5743 (12. November 1982): Feierliche Eröffnung durch Shimon Zygmunt Nissenbaum ז''ל,  Gründer und Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Freiburg/Konstanz. Die Bibliothek ist  dem Wunsch von Dr. Bloch entsprechend eine öffentliche Leihbücherei für Juden und Nichtjuden in Konstanz und der Bodenseeregion. Die ehrenamtliche Leitung der Bibliothek übernimmt Else Levi-Mühsam ז''ל in Zusammenarbeit mit Dr. Erich Bloch ז''ל.




                                   Else Levi Mühsam und Dr. Erich Bloch 1982 in der Bibliothek

25. August 1992: Else Levi-Mühsam ז''ל wird  Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt Görlitz.

August/ September 1992: In der israelischen Zeitschrift der Vereinigung der jüdischen Einwanderer aus Mitteleuropa ידיעות של אירגון עולי מרכז אירופה (Jediot schel Irgun Olei Merkas Eropa/ Mitteilungsblatt des Irgun Olei Merkas Europa, Tel Aviv) erscheint die Würdigung „Dr. Erich Bloch 95 Jahre alt“ von Else Levi-Mühsam ז''ל zum Geburtstag des Bibliotheksgründers.

24. Schewat 5754 (5. Februar 1994): Tod von Dr. Erich Bloch (4.8.1897-5.2. 1994) ז''ל in Konstanz.

September 1995: Umzug von Else Levi-Mühsam ז''ל nach Jerusalem. Übergabe der ehrenamtlichen Bibliotheksleitung an Thomas Uhrmann.

September 1997: die Bibliothek erhält einen größeren Raum mit neuer Ausstattung.

Juni 1998: Auf Initiative des Gemeindevorsitzenden Benjamin Nissenbaum und von Rabbiner Chaim Naftalin ז''ל wird die aufwändige Anschaffung der bedeutendsten rabbinischen Literatur wie Talmud, Schulchan Aruch und wichtiger Midraschim möglich.

Mai 2001: Mit der Aufnahme der Bibliothek in den Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB) beim Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg (BSZ), einer Einrichtung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, wird erstmals eine Judaica-Bibliothek, die nicht einer Hochschule angegliedert ist und zugleich erstmals die Bibliothek einer jüdischen Gemeinde in Deutschland einem Bibliotheksverbund angeschlossen.

Juni 2001: Beginn der Katalogisierung des gesamten Bestandes im Online-Katalog (OPAC) des SWB. Damit wird die Recherche des Buchbestandes im Internet möglich.

September 2001: Einrichtung der Webseiten unserer Bibliothek durch das Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg (BSZ).

19.-24. Oktober 2001: Teilnahme der Bibliothek an den 4. Baden-Württembergischen Bibliothekstagen in Konstanz.

22. November 2001: Die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung (Berlin) berichtet ausführlich über die Bibliothek.

14. Siwan 5764 (3. Juni 2004): Else Levi-Mühsam (8.5.1910-3.6.2004) ז''ל stirbt in Jerusalem.

November 2004: Vortragsveranstaltung der Bibliothek für die Volkshochschule Konstanz unter dem Titel: „Baum des Lebens und gedeckter Tisch – Torah, Talmud, Schulchan Aruch und andere Quellen des Judentums“ in der Bibliothek und der Synagoge. Diese Zusammenarbeit wird bis heute fortgesetzt.
Januar/April 2005: Ein ausführlicher Nachruf auf die ehemalige Bibliotheksleiterin Else Levi-Mühsam ז''ל von Thomas Uhrmann erscheint u. a. im „Freiburger Rundbrief – Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung“ (Freiburg/Brsg.) und im „Mühsam-Magazin“  der  Erich-Mühsam-Gesellschaft (Lübeck).
Mai 2005: Der „Bibliothekstag Jüdisches Leben im Bodenseeraum“ der Kantonsbibliothekare des Kantons Thurgau (Schweiz) findet in der Israelitischen Kultusgemeinde, initiiert durch unsere Bibliothek, statt.

Von September 2005 bis 2010 jährlich und wieder 2012: Ausrichtung des „Europäischen Tag der Jüdischen Kultur" in Konstanz durch die Israelitische Kultusgemeinde in Zusammenarbeit mit der Stadt Konstanz mit vielfältigen Veranstaltungen wie Synagogenbesichtigungen, Vorträgen, koscherem Buffet, Führung in der Mikwah, Ausstellungen, Konzerten u.a. Der Bibliotheksleiter stellt den Besuchern an diesem Tag jeweils den Bücherbestand vor und gibt eine Einführung zur rabbinischen Literatur.

2005/2006: Beratung und Begleitung des Ausstellungs-, Publikations- und Dokumentarfilmprojekts „Jüdische Jugend heute in Deutschland“ (Schirmherr: Paul Spiegel ז''ל, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland) von Studenten des Studiengangs Kommunikationsdesign der Hochschule Konstanz (HTWG) und des Buchprojektes „Der interreligiöse Stadtführer - Wege durch Konstanz“ von Schülern des Ellenrieder-Gymnasiums Konstanz  im Rahmen des bundesweiten Schülerwettbewerbs "Europäische Identität und kultureller Pluralismus" der Herbert-Quandt-Stiftung.
November 2006: Ein wertvolles Buch, Theodor Herzls „Zionistische Schriften“ aus dem Jüdischen Verlag von 1905, wird von Robert Wieler aus Jerusalem (ehemals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Kreuzlingen/Schweiz), der es 1938 wenige Tage vor der Reichspogromnacht in der Bibliothek der Israelitischen Gemeinde Konstanz ausgeliehen hatte, der Bibliothek der heutigen Israelitischen Kultusgemeinde übereignet. Damit findet ein Buch als einziges Exemplar aus der von den Nationalsozialisten zerstörten Gemeindebibliothek  nach 68 Jahren wieder in die Sigismundstraße zurück.

2007: Beteiligung der Bibliothek am bundesweiten „Wissenschaftsjahr 2007 – ABC der Menschheit: Die Freiheit der Religion“ (eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Deutschen Städtetages), mit Vorträgen in der Bibliothek unter dem Titel „Torah, Talmud, Synagoge – 613 Gebote als Weg zur Freiheit“.
Ende 2007/ Anfang 2008: Zum 25-jährigen Bestehen der Bibliothek berichten überregional die Zeitschrift „Jüdisches Europa“ (Frankfurt/Main), die „Stuttgarter Zeitung sowie die Fachzeitschriften Bibliotheksdienst (Bundesvereinigung Deutscher  Bibliotheks- und Informationsverbände, hrsg. von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin) und BuB–Forum Bibliothek und Information (Bad Honnef)  in ausführlichen Beiträgen.

August 2008: Anlässlich der Einweihung der Mikwah, dem Ritualbad der Israelitischen Kultusgemeinde, berichten Inger Stokking für die niederländische Zeitung „De Volkskrant“ auf  den  Internetseiten „Volkskrantreizen“  und  Reuven Leib auf den israelischen Nachrichtenwebseiten „חדשות מחלקה ראשונה“ („Chadaschot mi-chelkah rischonah – News1“) auch über die Konstanzer Judaica-Bibliothek.

Februar 2009: In der Katalogisierungsdatenbank des Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB) wird die originalsprachliche Erfassung von Titeln in nicht-lateinischer Schrift möglich. Die Bibliothek der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und die Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek in Konstanz beginnen als erste Bibliotheken in Deutschland, ihren hebräischen Bestand online in der Originalschrift zu katalogisieren. Damit können die Benutzer im Online-Katalog des SWB auch mit hebräischen Schriftzeichen nach Autoren und Titeln suchen.

April 2011: Kurz vor Pessach 5711 erreicht die Bibliothek eine großzügige Schenkung der British Library, London! Dabei handelt es sich neben hebräischen Titeln vor allem um jiddischsprachige Bücher in hebräischer Schrift, die in deutschen nichtwissenschaftlichen Bibliotheken, wenn überhaupt, nur sehr selten im Bestand nachgewiesen sind.

August 2011:  Die Bibliothek zieht aufgrund umfangreicher Umbauten in der Sigismundstraße 19  vom 1. Stock in einen Raum neben der Synagoge im Erdgeschoss um. Die Synagoge mit ihrem Nebenraum – einer kleinen Stube für Unterricht und gemeinsames Studium -  und die Bibliothek, der Ort Gebetes und die Orte des Lernens, als spirituelles und geistiges Zentrum der Gemeinde befinden sich damit in direkter Nachbarschaft.

 12. November 2011: Die Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek geht in das 30. Jahr ihres Bestehens. Die Stadt Konstanz würdigt die Bücherei aus diesem Anlass in ihrem Jahrbuch „Konstanzer Almanach 2012“ mit einem zweiseitigen Beitrag.

August 2012: Unterstützt durch das Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg wird erstmals ein sechsseitiger, farbig  illustrierter Flyer mit Informationen zur Bibliothek aufgelegt.

September  2012: Der nationale Schweizer Fachverband im Bereich Bibliotheks- und Informationswesen, Bibliothek Information Schweiz (BIS), hat den Besuch der Bibliothek in das offizielle Tagungsprogramm seines Jahreskongresses vom 12.–14. September 2012 in Konstanz aufgenommen.

Erwähnung der Bibliothek in folgenden Büchern:

Nathan Peter Levinson „Ein Ort ist, mit wem du bist - Lebensstationen eines Rabbiners“, Berlin, Hentrich, 1996
Ingrid Wiltmann „Nur Ewigkeit ist kein Exil“, Möhlin, Rauhreif Verl., 1997 und „Lebensgeschichten aus Israel“, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1998

Horst Reichhardt (Hrsg.) „Jenny Bohrer: Die Frau eines Rabbiners erinnert sich“, Schaffhausen, Loco Verl., 2005

Volker Friedrich (Hrsg.) „Jüdische Jugend heute in Deutschland“, Konstanz, UVK-Verlagsges., 2006

Stadt Konstanz (Hrsg.) „Der interreligiöse Stadtführer Konstanz“, Konstanz, 2006

Patrick Brauns „Das Bodensee-ABC“, Ostfildern, Thorbecke, 2007

Marie-Elisabeth Rehn „Hugo Schriesheimer – Ein jüdisches Leben“, Konstanz, Hartung Gorre, 2011

Arndt Spieth „Konstanz – der Stadtführer“, Karlsruhe, DRW-Verl. Weinbrenner, 2011

Helmut Fidler „Jüdisches Leben am Bodensee“, Frauenfeld, Huber, 2011

Lena Kreppel „Deutsch. Jüdisch. Israelisch. – Identitätskonstruktionen in autobiographischen und essayistischen Texten von Erich Bloch, Jenny Kramer und Fritz Wolf“, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2012
            Peter Stiefel, Rabbiner Chaim Naftalin ז''ל und Thomas Uhrmann in der Bibliothek ( Mai 2002)



SWR 4 Radio: 30 Jahre jüdische Bibliothek
(Sendung vom 12.11. 2012):

http://www.swr.de/swr4/bw/regional/bodensee/-/id=258858/hc4ot8/index.html 




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