30 Jahre
Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek (Judaica)
in Konstanz
1982 – 2012: Bilanz,
Dank und Chronik
Von Thomas Uhrmann
(Text aus dem Mitteilungsblatt des Oberrates
der Israeliten Badens und seiner Gemeinden,
Ausg. Nr. 43, September 2012
Hrsg./ Redaktion: Israelitische
Religionsgemeinschaft Baden (IRG) K.d.ö.R., raumK Verlag, Karlsruhe, 2012)
Am
12. November 2012 kann die Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde
Konstanz auf stolze 30 Jahre ihres Bestehens zurückblicken. Sie ist in diesen
drei Jahrzehnten zu einer nicht mehr wegzudenkenden kulturellen Institution in
der Stadt am Bodensee geworden und hat als Vermittlerin jüdischer Kultur ebenso
für Gemeindemitglieder als auch für die nichtjüdische Bevölkerung weit über
Konstanz hinaus Bedeutung erlangt. Die Aufnahme in den Südwestdeutschen
Bibliotheksverbund (SWB) im Jahr 2001 und die damit verbundene Internetpräsenz
haben entschieden zu ihrem überregionalen Bekanntheitsgrad beigetragen. Das
beweisen nicht nur Anfragen von weither nach seltenen Buchtiteln, die sich nur
im Bestand dieser Bibliothek befinden, sondern auch vermehrt großzügige Schenkungen
von Privatleuten aus der Stadt, aus der Region, aus der benachbarten Schweiz
und sogar von der British Library in London. Darüber hinaus haben oftmals
überregionale Zeitungen und Zeitschriften über die Aktivitäten der Bücherei
berichtet, ebenso verschiedene Internetportale und die israelischen
Nachrichtenwebseiten News1.
Als
die Bibliothek nach der Aufnahme in den Verbund begonnen hatte, ihren Bestand
im Online-Katalog des SWB zu katalogisieren und damit im Internet
recherchierbar zu machen, wies dieser 2100 Titel unserer Bücherei nach,
inzwischen sind es knapp 4300.
Dies
alles wäre nicht möglich gewesen ohne die Initiative von Dr. Erich Bloch ז''ל,
in
Konstanz eine Judaica-Bibliothek zu gründen und sie mit ersten Büchern
auszustatten, nicht ohne die unermüdliche Aufbauarbeit und langjährige
fachkundige Betreuung der Bücherei durch Else Levi-Mühsam ז''ל, nicht ohne die Familie Nissenbaum,
die über all die Jahre bis heute die Räume zur Verfügung stellte und stellt,
und nicht ohne Spenden von oft ganz besonderen und seltenen Büchern zahlreicher
Gönner. Nicht zuletzt auch nicht ohne das Bibliotheksservice-Zentrum
Baden-Württemberg (BSZ), dessen Direktion und Mitarbeiter uns seit elfeinhalb
Jahren bestens unterstützen. All diesen Förderern der Bibliothek gilt unser
großer Dank!
Eine öffentliche Judaica-Bibliothek in einer relativ
kleinen Universitätsstadt, die von einer jüdischen Gemeinde getragen wird, ist
eine Besonderheit. Für mich war und ist die Ehre, dass mir 1995 die
ehrenamtliche Betreuung der Bibliothek anvertraut wurde, Verpflichtung. Eine
Verpflichtung und Freude, in dieser kulturellen Einrichtung einer jüdischen
Gemeinde in Baden und interessierten Lesern dienen zu dürfen.
Folgen Sie mir jetzt anhand der wichtigsten Daten und
Ereignisse durch drei Jahrzehnte Bibliotheksgeschichte in der Konstanzer
Sigismundstraße:
15. Aw 5742 (4.
August 1982): Gründung und Aufbau der
Judaica-Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz (IKG) durch den
Historiker und Schriftsteller Dr. Erich Bloch ז''ל mit finanzieller Unterstützung durch Alfred Lebenheim ז''ל, einem
Mitglied der Gemeinde.
26. Cheschwan 5743 (12. November 1982): Feierliche Eröffnung durch Shimon
Zygmunt Nissenbaum ז''ל, Gründer und Vorsitzender der Israelitischen
Kultusgemeinde Freiburg/Konstanz. Die Bibliothek ist dem Wunsch von Dr. Bloch entsprechend eine
öffentliche Leihbücherei für Juden und Nichtjuden in Konstanz und der
Bodenseeregion. Die ehrenamtliche Leitung der Bibliothek übernimmt Else
Levi-Mühsam ז''ל in Zusammenarbeit mit Dr. Erich Bloch ז''ל.
Else Levi Mühsam und Dr. Erich Bloch 1982 in der Bibliothek
25. August 1992: Else Levi-Mühsam ז''ל wird
Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt Görlitz.
August/ September 1992: In der israelischen Zeitschrift der Vereinigung der jüdischen Einwanderer aus Mitteleuropa
ידיעות של אירגון עולי מרכז אירופה (Jediot schel Irgun
Olei Merkas Eropa/ Mitteilungsblatt des Irgun Olei Merkas Europa, Tel Aviv)
erscheint die Würdigung „Dr. Erich Bloch 95 Jahre alt“ von Else Levi-Mühsam ז''ל zum Geburtstag des Bibliotheksgründers.
24. Schewat 5754 (5. Februar 1994): Tod von Dr. Erich Bloch
(4.8.1897-5.2. 1994) ז''ל in Konstanz.
September 1995:
Umzug von Else Levi-Mühsam ז''ל nach Jerusalem. Übergabe der ehrenamtlichen Bibliotheksleitung
an Thomas Uhrmann.
September 1997: die Bibliothek erhält einen größeren Raum mit neuer
Ausstattung.
Juni 1998:
Auf Initiative des Gemeindevorsitzenden Benjamin Nissenbaum und von Rabbiner
Chaim Naftalin ז''ל wird die aufwändige Anschaffung der bedeutendsten rabbinischen
Literatur wie Talmud, Schulchan Aruch und wichtiger Midraschim möglich.
Mai 2001: Mit der Aufnahme der Bibliothek in den Südwestdeutschen
Bibliotheksverbund (SWB) beim Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg
(BSZ), einer Einrichtung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und
Kunst, wird erstmals eine Judaica-Bibliothek, die nicht einer Hochschule
angegliedert ist und zugleich erstmals die Bibliothek einer jüdischen Gemeinde
in Deutschland einem Bibliotheksverbund angeschlossen.
Juni 2001:
Beginn der Katalogisierung des gesamten Bestandes im Online-Katalog (OPAC) des
SWB. Damit wird die Recherche des Buchbestandes im Internet möglich.
September 2001: Einrichtung der Webseiten unserer Bibliothek durch das
Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg (BSZ).
19.-24. Oktober 2001: Teilnahme der Bibliothek an den 4.
Baden-Württembergischen Bibliothekstagen in Konstanz.
22. November 2001: Die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung (Berlin) berichtet
ausführlich über die Bibliothek.
14. Siwan 5764 (3. Juni 2004): Else Levi-Mühsam (8.5.1910-3.6.2004) ז''ל stirbt
in Jerusalem.
November 2004: Vortragsveranstaltung der Bibliothek für die Volkshochschule Konstanz
unter dem Titel: „Baum des Lebens und gedeckter Tisch – Torah, Talmud,
Schulchan Aruch und andere Quellen des Judentums“ in der Bibliothek und der
Synagoge. Diese Zusammenarbeit wird bis heute fortgesetzt.
Januar/April
2005: Ein ausführlicher Nachruf auf die ehemalige Bibliotheksleiterin Else
Levi-Mühsam ז''ל von Thomas Uhrmann erscheint u. a. im „Freiburger
Rundbrief – Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung“ (Freiburg/Brsg.) und
im „Mühsam-Magazin“ der Erich-Mühsam-Gesellschaft (Lübeck).
Mai 2005:
Der „Bibliothekstag Jüdisches Leben im Bodenseeraum“ der Kantonsbibliothekare
des Kantons Thurgau (Schweiz) findet in der Israelitischen Kultusgemeinde,
initiiert durch unsere Bibliothek, statt.
Von September 2005 bis 2010 jährlich und wieder 2012: Ausrichtung des „Europäischen Tag der
Jüdischen Kultur" in Konstanz durch die Israelitische Kultusgemeinde in
Zusammenarbeit mit der Stadt Konstanz mit vielfältigen Veranstaltungen wie
Synagogenbesichtigungen, Vorträgen, koscherem Buffet, Führung in der Mikwah,
Ausstellungen, Konzerten u.a. Der Bibliotheksleiter stellt den Besuchern an
diesem Tag jeweils den Bücherbestand vor und gibt eine Einführung zur
rabbinischen Literatur.
2005/2006: Beratung und Begleitung des Ausstellungs-, Publikations- und
Dokumentarfilmprojekts „Jüdische Jugend heute in Deutschland“ (Schirmherr:
Paul Spiegel ז''ל, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland) von
Studenten des Studiengangs Kommunikationsdesign der Hochschule Konstanz (HTWG)
und des Buchprojektes „Der
interreligiöse Stadtführer - Wege durch Konstanz“ von Schülern des
Ellenrieder-Gymnasiums Konstanz im Rahmen des bundesweiten Schülerwettbewerbs "Europäische
Identität und kultureller Pluralismus" der Herbert-Quandt-Stiftung.
November 2006: Ein wertvolles Buch, Theodor Herzls „Zionistische
Schriften“ aus dem Jüdischen Verlag von 1905, wird von Robert Wieler aus
Jerusalem (ehemals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Kreuzlingen/Schweiz),
der es 1938 wenige Tage vor der Reichspogromnacht in der Bibliothek der
Israelitischen Gemeinde Konstanz ausgeliehen hatte, der Bibliothek der heutigen
Israelitischen Kultusgemeinde übereignet. Damit findet ein Buch als
einziges Exemplar aus der von den Nationalsozialisten zerstörten
Gemeindebibliothek nach 68 Jahren wieder
in die Sigismundstraße zurück.
2007: Beteiligung der Bibliothek am
bundesweiten „Wissenschaftsjahr 2007 – ABC der Menschheit: Die Freiheit der
Religion“ (eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und
des Deutschen Städtetages), mit Vorträgen in der Bibliothek unter dem Titel
„Torah, Talmud, Synagoge – 613 Gebote als Weg zur Freiheit“.
Ende 2007/ Anfang 2008: Zum 25-jährigen Bestehen der
Bibliothek
berichten überregional die Zeitschrift „Jüdisches Europa“ (Frankfurt/Main), die
„Stuttgarter Zeitung“ sowie die Fachzeitschriften „Bibliotheksdienst“ (Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheks- und Informationsverbände, hrsg.
von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin) und „BuB–Forum
Bibliothek und Information“ (Bad Honnef)
in ausführlichen Beiträgen.
August 2008:
Anlässlich der Einweihung der Mikwah, dem Ritualbad der Israelitischen
Kultusgemeinde, berichten Inger Stokking für die niederländische Zeitung „De
Volkskrant“ auf den Internetseiten „Volkskrantreizen“ und
Reuven Leib auf den israelischen Nachrichtenwebseiten „חדשות מחלקה ראשונה“
(„Chadaschot mi-chelkah rischonah – News1“) auch über die Konstanzer
Judaica-Bibliothek.
Februar 2009: In
der Katalogisierungsdatenbank des Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB)
wird die originalsprachliche Erfassung von Titeln in nicht-lateinischer Schrift
möglich. Die Bibliothek der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg
und die Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek in Konstanz beginnen als erste
Bibliotheken in Deutschland, ihren hebräischen Bestand online in der
Originalschrift zu katalogisieren. Damit können die Benutzer im
Online-Katalog des SWB auch mit hebräischen Schriftzeichen nach Autoren und
Titeln suchen.
April 2011: Kurz vor
Pessach 5711 erreicht die Bibliothek eine großzügige Schenkung
der British Library, London! Dabei handelt es sich neben hebräischen Titeln vor
allem um jiddischsprachige Bücher in hebräischer Schrift, die in deutschen
nichtwissenschaftlichen Bibliotheken, wenn überhaupt, nur sehr selten im
Bestand nachgewiesen sind.
August 2011: Die Bibliothek zieht aufgrund umfangreicher Umbauten
in der Sigismundstraße 19 vom 1. Stock
in einen Raum neben der Synagoge im Erdgeschoss um. Die Synagoge mit ihrem Nebenraum –
einer kleinen Stube für Unterricht und gemeinsames Studium - und die Bibliothek, der Ort Gebetes und die
Orte des Lernens, als spirituelles und geistiges Zentrum der Gemeinde befinden
sich damit in direkter Nachbarschaft.
12.
November 2011: Die Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek geht in
das 30. Jahr ihres Bestehens. Die
Stadt Konstanz würdigt die Bücherei aus diesem Anlass in ihrem Jahrbuch
„Konstanzer Almanach 2012“ mit einem zweiseitigen Beitrag.
August 2012:
Unterstützt durch das Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg wird erstmals
ein sechsseitiger, farbig illustrierter
Flyer mit Informationen zur Bibliothek aufgelegt.
September 2012: Der nationale Schweizer Fachverband im Bereich
Bibliotheks- und Informationswesen, Bibliothek Information Schweiz (BIS), hat
den Besuch der Bibliothek in das offizielle Tagungsprogramm seines
Jahreskongresses vom 12.–14. September 2012 in Konstanz aufgenommen.
Erwähnung der Bibliothek in folgenden
Büchern:
Nathan Peter Levinson „Ein Ort ist,
mit wem du bist - Lebensstationen eines Rabbiners“, Berlin, Hentrich, 1996
Ingrid Wiltmann „Nur Ewigkeit ist kein
Exil“, Möhlin, Rauhreif Verl., 1997 und „Lebensgeschichten aus Israel“,
Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1998
Horst Reichhardt (Hrsg.) „Jenny
Bohrer: Die Frau eines Rabbiners erinnert sich“, Schaffhausen, Loco Verl., 2005
Volker Friedrich (Hrsg.) „Jüdische
Jugend heute in Deutschland“, Konstanz, UVK-Verlagsges., 2006
Stadt Konstanz (Hrsg.) „Der
interreligiöse Stadtführer Konstanz“, Konstanz, 2006
Patrick Brauns „Das Bodensee-ABC“,
Ostfildern, Thorbecke, 2007
Marie-Elisabeth Rehn „Hugo
Schriesheimer – Ein jüdisches Leben“, Konstanz, Hartung Gorre, 2011
Arndt Spieth „Konstanz – der
Stadtführer“, Karlsruhe, DRW-Verl. Weinbrenner, 2011
Helmut Fidler „Jüdisches Leben am
Bodensee“, Frauenfeld, Huber, 2011
Lena Kreppel „Deutsch. Jüdisch.
Israelisch. – Identitätskonstruktionen in autobiographischen und essayistischen
Texten von Erich Bloch, Jenny Kramer und Fritz Wolf“, Würzburg, Königshausen
& Neumann, 2012
SWR 4 Radio: 30 Jahre
jüdische Bibliothek
(Sendung vom
12.11. 2012):
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